Dienstag, August 26, 2003

Mörderisch

In einem kleinen Krankenhaus, ein oder zwei Tage nach einer dubiosen Op. Du fühlst dich fertig und allein - und du bist es auch. Du stehst im Türrahmen des StationsSchwesternZimmers, und hinten steht die Ärztin, die dich vermutlich mit-operiert hat - auch dieser irgendwie nicht zu klärende Umstand trägt zu deiner Verzweiflung bei - und du versuchst mit dieser Frau ein informatives Gespräch zustande zu bekommen - und du spürst eine unglaubliche, noch niemals zuvor von einem Menschen ausgehende Kälte . . . . . . und hast plötzlich das Gefühl - so ähnlich muss es sein, wenn ein Mensch seinem Mörder begegnet - ausgeliefert sein - und zu wissen - diese kalte Seele erreichst du nicht.
Sowas kann man sich verpacken, wenn man gesund ist und von solchen Leuten unabhängig - Obacht - und man hat die Situation im Griff. Aber die Gewissheit, du bist diesem Machtmonster ausgeliefert und du warst kürzlich in Vollnarkose unter deren Messer - und das wurde auch bis zum Exzess ausgenutzt - das lässt dich fast ohnmächtig werden. Deine Welt geht unter. Dein Stern verlischt. Lebendig tot. Nach getanem blutigem Handwerk, wie ein ausgeweidetes Versuchstier losgelassen, von harmlos aussehenden Menschen-Schlachtern im weissen Arzt-Kittel.


Klingt irre - vermutlich. Aber wie soll man sprechen, wenn einen das Schicksal in eine andere, in eine Horror-Realität, in einen realen Albtraum katapultiert, aus dem es vermutlich kein Erwachen geben kann, bis zum Schluss. Und du fragst dich. Wie kann es sein, dass solche humanoiden Charakterschweine als Ärzte einfach agieren und weiter machen können. Wo ist der institutionelle Beistand der demokratischen Gesellschaft?

---

Diese merkwürdige Verschiebung von Wahrnehmung zwischen üblicher Welt und Extremwelt hatte ich erstmals als Ahnung mitbekommen, als Aussenstehender, bei der Schilderung eines Sachverhalts, den ein Überlebender des Warschauer Ghetto mal vor zig Jahren in der NDR-TalkShow erzählt hat. Ich mache mich beileibe nicht anheischig, mein Trauma und meine Situation mit der von Naziverfolgten als von gleicher Dimension zu sehen. Ich habe das so in Erinnerung:
Er hätte zusammen mit einem Kumpel Schächte und Tunnel unterm Ghetto, hin zur Kanalisation gegraben und dort seien sie abgezirkelte Richtungen und abgezählte Schritte genügend weit aus dem Areal des kollabierenden Ghettos unterirdisch gegangen, mit dem Auftrag, Hilfe zu holen, da das Ghetto vor dem Exitus stand. Er sei dann irgendwann einen Gullischacht nach oben gestiegen und als er den Deckel hob und ans Licht kroch, auf die Strasse, das Ghetto nur wenige Straßenzüge entfernt - da sei er mitten im üppigen Großstadttrubel gestanden, die Leute normal beim Einkaufen, wie man das so kennt. Und niemand habe sich um ihn geschert, man sei ihm einfach aus dem Weg gegangen, habe ihn ignoriert. Ich weiss es so genau nicht mehr, weil die Sendung schon so lange her ist. Aber ich glaube, was mich damals überrascht hatte, war, wie dicht das Grauen, das wirkliche Grauen in jeder Beziehung - und die sogenannte Normalität nebeneinander existieren können, nur wenige Häuserecken voneinander getrennt - ohne Einfluss aufeinander. Aus den Augen, aus dem Sinn? Ich hatte damals gedacht, der Mann aus dem Ghetto müsse doch als Bote aus einer anderen Welt neugierig empfangen werden, die Leute begierig, endlich aus erster Hand zu erfahren, was sich hinter den Mauern des Ghetto zuträgt. Aber nein. Nix. Null.
Also ich hatte seinerzeit noch geglaubt, alles sei eine Frage der Information. Die Bevölkerung habe nichts gegen die Nazidiktatur unternommen, weil sie zu wenig wussten. Also Informationsmangel. Durch die Schilderungen des Ghettoüberlebenden habe ich aber den ganz anderen Eindruck bekommen, die Leute wollen es gar nicht wissen. Oder sie wissen es eigentlich schon, aber es macht ihnen nichts aus, es zu belassen, wie es ist.

Vielleicht ist die Wahrheit eine Mischung aus beidem: Es gibt womöglich Leute, die handeln entsprechend ihrem Wissensstand - bei denen ist alles eine Frage der Kenntniss, der Information - und die sind so stark mit Akitivität gemäß ihrem Wissen beschäftigt, dass sie kaum neue Informationen dazu bekommen. Wieder andere, die bekommen sehr viel mit, und sind permanente Informationssammler - müssen darum sortieren, wonach sie handeln, und was sie lieber verdrängen, ausblenden und liegen lassen. In unserer heutigen Informationsgesellschaft kann es eigentlich kein nicht-wissen-können mehr geben. Wohl alles nur eine Frage des Willens, der Zeit, der Persönlichkeitsstruktur.

---

Ich weiss nicht: Wir als Opfer von pfuschenden, sadistischen, verbrecherischen Ärzten sind offenbar irgendwie ein anderer Menschentyp. Opfermentalität. Zu geduldig - too patient. Vom Täterblick ins Beuteschema passend. Oder einfach eiskalt in der Sandbox Abhängigkeit vom Medizinbetrieb laufen gelassen, bis man vor Müdigkeit irgend einem Schwein vor die Füsse fällt. Mit uns kann mans ja machen. Keine Gegenwehr. Anpassung an jede Situation. Immer konziliant, diplomatisch. Leicht zu beeindrucken. Immer für einen Appell an die Einsicht zugänglich. Die idealen Demokratie-Trottel (also die noch dran glauben).