Dienstag, Juni 08, 2004

Aus den Online-Texten der ZDF-Reihe:

Medizin ohne Menschlichkeit - NS-Ärzte zwischen Ideologie, Wissenschaft und Moral

Aktuellen Umfragen zufolge, unter anderem an der Berliner Humboldt-Universität, weiß kaum ein Medizinstudent, dass sich die deutsche Ärzteschaft weit mehr als die Durchschnittsbevölkerung nationalsozialistisch organisiert und engagiert hat.

Auch in der breiteren Öffentlichkeit herrscht der Eindruck vor, dass die medizinischen Verbrechen im Nationalsozialismus nur von einigen wenigen gewissenlosen Ärzten begangen wurden, die sich von der NS-Ideologie hatten verführen lassen.

Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Viele deutsche Ärzte - so bilanziert der Medizinhistoriker Till Bastian - hätten sich im Ersten Weltkrieg schon "an energisches 'Durchgreifen' und Missachtung der Patientenrechte gewöhnt" und sich später den "nationalsozialistischen Herrschern bereitwillig, ja begeistert angedient".

Schon bald nach 1933 drängen die Mediziner eifrig in die NSDAP.

Im Bundesarchiv Berlin befindet sich die Mitgliederkartei der NSDAP. Heute weiß man, dass drei Viertel der Ärzteschaft in Nazi-Organisationen waren. Auch die Ärzte werden zu Hitlers Helfern, zu Vollstreckern der Rassenideologie.

Nach 1945 wiederum tauschten viele Ärzte den befleckten weißen Kittel gegen eine blütenweiße Weste und machten erneut Karriere.

Es kann nicht überraschen, dass gerade in einem Fach, das in Verbindung mit dem Eid des Hippokrates gern zur Verklärung und Idealisierung herangezogen wird, besonders wenig Neigung zur Gewissenserforschung bestand.

Auch die Geschichte der Medizin im "Dritten Reich" kennt Zwischentöne. So gab es auch Forschung, die international geachtet war, und ein Gesundheitssystem, das später in Teilen (zum Beispiel die Gesundheitsämter und einzelne Prophylaxemaßnahmen) übernommen wurde.

Freilich selbst hier: Fragt man nach den Motiven, so stand die Gesundheit des "Volkskörpers" und der Rasse im Mittelpunkt, und was die Ärzte angeht, so bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass sich der allergrößte Teil der Ärzteschaft gleichschalten ließ. Und viele Ärzte sahen tatenlos zu, wie ihre jüdischen Kollegen die Praxen schließen mussten und der Verfolgung ausgesetzt waren.

Folgt man den Spuren der Ärzte und ihrer Taten, so ergibt sich eine Topographie des Terrors und Todes.

Bereits im Juli 1933 wird das Reichsgesetz "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" verkündet. Durch Zwangssterilisationen sollen "Schwachsinnige", Schwerbehinderte, Blinde und Taube unfruchtbar gemacht werden.

Das Gesetz löst eine große Anzeigenflut aus. "Erbgesundheitsgerichte" entscheiden über Anträge auf Unfruchtbarmachung, die aus den Gesundheitsämtern eingehen. Nach Pseudotests heißt es in den meisten Fällen nach wenigen Minuten: "Der oben genannte Proband ist unfruchtbar zu machen."
Etwa 400.000 Männer und Frauen werden von Ärzten sterilisiert.

Vor dem Nürnberger Gericht mussten sich Mediziner wegen Sterilisationsexperimenten verantworten, die in den Konzentrationslagern Auschwitz und Ravensbrück durchgeführt wurden. Grausame Versuche, von denen die meisten tödlich endeten. Arzte suchten nach schnellen Sterilisationsmethoden. Himmler plante, 30 Millionen Slawen zu sterilisieren.

Anfang 1940 beginnen die Euthanasiemorde, organisiert und unter strengster Geheimhaltung.
Auch Kinder werden zu Opfern. Zum Beispiel in der Baumgartner Höhe, dem Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien. Ein Forschungsteam hat nun die Hinterlassenschaften eines grausamen Kindermordes identifiziert: Gewebeschnitte, Gehirne, Rückenmark von fast 600 Kindern. Heute kennt man alle Namen der Kinder und hat ihre Überreste in einem Ehrengrab beigesetzt. Das Nürnberger Gericht warf Brandt vor, an der Verwaltung der Kindereuthanasie im Reich beteiligt gewesen zu sein.


Ende der Zitate aus dem Online-Angebot des ZDF über Ärzte unterm Hakenkreuz