Dienstag, Dezember 14, 2004

Klapse

Deutsche Gründlichkeit:

1940/41 werden in insgesamt sechs Vergasungsanstalten 70 273 Menschen ermordet. Das Gas liefern die IG Farben Ludwigshafen. Das Zahngold der Ermordeten bekommt die Degussa. Die Gehirne verarbeiten das Kaiser-Wilhelm-Institut für Gehirnforschung in Berlin und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Psychiatrie in München (beide heute Max-Planck-Institute).
Den Gasmord organisiert eine Zentralstelle in der Berliner Tiergartenstr. 4 (T4). Im August 1941 verordnet Hitler einen Vergasungsstopp. Dennoch wird weiter gemordet: mit Medikamenten, mittels Hunger, im Einzelfall per Elektroschock. Ein weltweit einmaliges Verbrechen: Psychiater versuchen, ihre Kranken auszurotten.

Die deutsche Psychiatrie brauchte die Nazis

Zwischen 1933 und 1945 geschieht nichts, was nicht Psychiater lange vor den Nazis gefordert hatten. Emil Kraepelin 1918: „Ein unumschränkter Herrscher, der ... rücksichtslos in die Lebensgewohnheiten der Menschen einzugreifen vermöchte, würde im Laufe weniger Jahrzehnte bestimmt eine Abnahme des Irreseins erreichen können."

Ernst Rüdin 1934: „Der Psychiater muß sich mit den Gesunden gegen Erbkranke verbünden ... Dem hohen Zuchtziel einer erbgesunden, begabten, hochwertigen Rasse muß der Psychiater dienstbar sein."

Psychiater diffamierten ihre Patienten aus Schwäche, denn sie kannten weder Therapie noch Heilung. Sie beseitigten zuerst jene, die ihnen ihr Unvermögen vor Augen führten: die chronisch Kranken, die sog. Unheilbaren. Der nahezu unaussprechliche Höhepunkt deutscher Psychiatriegeschichte: sie sagten „behandeln", wenn sie mordeten.
Es gibt keinen Psychiater, der dem Massenmord Widerstand leistete. Im Gegenteil: Direktoren der württembergischen Anstalten besichtigen die Vergasungsanstalt Grafeneck, die Vergasung ihrer Patienten inklusive. In der bayerischen Diakonie-Anstalt Neuendettelsau meldet Rektor Lauerer Patienten nach, weil sie als Hilfskräfte für die Hausarbeit nicht in Betracht kommen. Die westfälische Heilerziehungsanstalt Wittekindshof bittet die Generalstaatsanwaltschaft Hamm, schwierige Patienten in ein Arbeitslager, sprich: KZ, einzuweisen.
Die Vernichtung der Unheilbaren versetzte die Beteiligten, so T4-Psychiater Prof. Friedrich Panse, in „eine berauschende Gehobenheit". Prof. Paul Nitsche, psychiatrischer Leiter beim Massenmord: „Es ist doch herrlich, wenn wir in den Anstalten den Ballast los werden und nun wirklich richtige Therapie treiben können."

Die Traueranzeige der Psychiatrischen Universitätsklinik Düsseldorf für Prof. Friedrich Panse gipfelt in dem Satz: „Ein Leben der Arbeit im Dienst leidender Mitmenschen ... ist vollendet." Panse war T4-Gutachter, d.h. er gutachtete Patienten in die Gaskammer. Wer Täter ehrt, mordet ihre Opfer noch einmal.


Aus einem Referat von Ernst Klee am 6. August 1999 am PI der Universität Hamburg