Samstag, Juli 30, 2005

Heisst von Holland lernen siegen lernen?
Wieder aktuelle Meldung: deutsche "Patienten sollten künftig mehr zuzahlen" - Krankenkassen erwägen Erhöhung der Beitragssätze"

Wie es besser gehen könnte, scheint das holländische Gesundheitswesen zu zeigen (Auszug aus STERN-Artikel):
Pillenschlucken gilt in den Niederlanden nicht als Beleg für die Modernität eines Gesundheitssystems - eher als Beweis für sein Versagen. Deutsche Ärzte erhalten für jeden Handgriff Punkte, die sie bei der Kasse einreichen. Wer mehr Punkte hat, bekommt mehr Geld - also sammeln alle wie blöde Punkte und fummeln mit medizinischem Schnickschnack ewig an ihren Patienten rum. Der holländische Hausarzt dagegen ist nicht zuständig für Patienten, sondern für Menschen.

Glückliches Holland! Der gesunde Menschenverstand scheint hier noch eine Heimat zu haben, anders als bei uns.
Die leben nicht schlechter als wir, im Gegenteil: 1980 war die Sterblichkeit bei Herzinfarkt in beiden Ländern noch gleich groß - heute ist sie in Holland um 25 Prozent niedriger als bei uns. In puncto Lebenserwartung liegt das kleine Land an der Weltspitze.
Heißt von Holland lernen siegen lernen?
Nicht Abriss des Sozialstaates ist hier das Ziel, sondern seine Leistungssteigerung. Der deutsche Ärztekult mit all seiner ehrpusseligen Standestümelei ist unbekannt - aber auch die Luxushaltung von Patienten, die zehn Fachärzte ausprobieren. Es gibt strenge Regeln.

Ist das holländische Gesundheitssystem Sozialismus? Der Gedanke muss einem kommen, wenn man durch Hollands Kliniken und Arztpraxen reist. Überall ist der Staat dabei, auf alles und jedes drückt er den Kostendeckel. Die Zahl der Medizinstudenten ist begrenzt, die der Krankenhäuser wurde durch Zwangsfusionen drastisch gesenkt. Die Anschaffung von medizinischen Großgeräten muss das Gesundheitsministerium genehmigen. Eine "Positivliste" legt fest, welche Medikamente die Kassen erstatten - homöopathische Mittelchen haben keine Chance.

Die Holländer sind besser - und einfallsreicher. Zwischen Gewächshäusern mit Blumen und Tomaten residiert James Burton und baut Marihuana an. Schon seit Jahren verkauft der aus den USA eingewanderte Vietnam-Veteran seine Haschischpräparate an Stammkunden. Denen helfen die Cannabis-Pillen bei Migräne, Asthma, Aids und Multipler Sklerose. Bisher wurde das nur toleriert. Künftig soll Burton aber Apotheken und Krankenhäuser ganz offiziell beliefern - in öffentlichem Auftrag. Die Staatssekretärin für "Volksgesundheit, Wohlbefinden und Sport" ist von der Cannabis-Therapie so angetan, dass sie diese Woche eine erste Marihuanapflanze feierlich an eine Multiple-Sklerose-Initiative übergeben wird. Burton freut sich: "Ich bin der erste staatlich anerkannte Dealer der Welt."

Durch Holland weht der eisige Wind eines durchrationalisierten Sozialstaates. Der ist kühl und effizient, klar geregelt und bezahlbar. Aber auch - unsentimental: die einstmals stolzen Apotheker als Gehaltsempfänger. Ärzte als Staatsmediziner. Patienten als Kostenfaktoren. Das müssten unsere Politiker uns sagen, wenn sie von Holland abgucken wollen. So viel Mut müssten sie haben.

Noch wirkt Deutschland auf unsere Nachbarn wie in Beton gegossen: Keiner bewegt sich, keiner redet mit keinem. Seit Jahren trifft der Gesundheitsforscher Richard Grol aus Nimwegen auf Kongressen in Deutschland "dieselben Leute, die sich immer dieselben Positionen um die Ohren hauen". Und noch etwas irritiert den Holländer: "Bei euch geht es immer gleich ums große Ganze. Alle suchen nach der großen Reform. Wir machen das anders. Reform ist bei uns immer."


Das holländische System scheint ziemlich das zu sein, was ich mir seit langem vorstelle und wünsche, ohne dass ich von dem Modell der Niederländer wusste. Vor allem hebelt es den grundsätzlich gesundheitsgefährdenden Zielkonflikt im deutschen Medizinsystem aus - nämlich dass hiesige Ärzte für gesunde Menschen kein Geld bekommen, also für ihren Profit daran interessiert sein müssen, dass Bürger krank sind, krank werden oder krank bleiben. Meiner Wahrnehmung nach ist dieses Grundprinzip des hiesigen Medizinsystems unvereinbar mit einem echten Gesundheitswesen und unvereinbar mit Grund- und Menschenrechten wie sie auch im deutschen GrundGesetz garantiert sein sollen. Darum hatte ich vor einiger Zeit eine Verfassungsbeschwerde versucht - leider erfolglos. Und darum hoffe ich darauf, dass endlich ein kompetenterer Mitbürger beim BVerfG erfolgreich klagt, um endlich das deutsche Gesundheitswesen auf eine menschenwürdige und bezahlbare Grundfunktion zu stellen, mit der sowohl Ärzte als auch Patienten gut und gerne leben (können).

Mir persönlich ist ein Gesundheitswesen lieber, durch das der kühle Wind der Vernunft weht, der mich aber möglichst schnell möglichst gesund macht - schliesslich will ich mich dort nicht häusslich niederlassen - als ein System, dass mich - ohne vorher über Geld zu sprechen - mit HighTech-Luxus und aufgesetzten Nettigkeiten empfängt und umfüttert, weil es auf mein Geld scharf ist, das mir dann hinter meinem Rücken heimlich vom Budget-Konto gezogen wird, und darum meine tiefen Bedürfnisse nach Gesundheit prinzipiell ignoriert, weil ich sonst womöglich in Zukunft seltener zum Arzt müsste, was dessen Einkommen schmälern würde.