Donnerstag, Oktober 25, 2007

Ein paar unbequeme Wahrheiten
„Präventivwirkung des Nichtwissens“ meint, dass dann wenn die Bürger tatsächlich alles wüssten, was passiert, ihre Normtreue futsch wäre.

Andererseits sollte es uns alle
(es handelt sich hier um ein Referat auf dem Strafverteidigertag 2001. Anmerkung vom Blogger) als Bestandteil des Systems nachdenklich werden lassen, von welchen Zufällen Entscheidungen abhängen und wie zahnlos letztendlich der Tiger Strafjustiz ist. Um so mehr verwundert die demonstrativ gezeigte Stärke bei bestimmten Straftaten, die benutzt werden, um „ein Signal“ zu setzen. Dabei geht es nicht darum, ob in Deutschland „zu wenig“ bestraft wird, sondern es geht um zu lange Freiheitsstrafen, die auch für die Überlastung der Strafanstalten verantwortlich sind. Das Grundproblem des deutschen Strafjustizsystems liegt nicht darin, dass zu viele Verfahren eingestellt werden, sondern darin, dass man noch immer versucht nach aussen den Eindruck zu erwecken, dass derjenige, der eine Straftat begeht, auch tatsächlich dafür bestraft wird. Nicht nur die Straftäter wissen dabei längst, dass dies nicht der Fall ist (insbesondere Ärzte scheinen sich dieser Tatsache sehr bewusst zu sein und sie skrupellos auszunutzen. Anmerkung vom Blogger) und dass sowohl die Tatsache der Entdeckung, als auch die der Bestrafung von vielen Zufälligkeiten, eigenen Dummheiten und anderen Dingen (wozu manchmal auch die Wahl des richtigen Anwalts gehört) abhängt.
Das sog. Legalitätsprinzip, das es der deutschen Polizei versagt, eine bekannt gewordene Straftat nicht weiter zu verfolgen, gehört ebenfalls zu diesem Etikettenschwindel (denn die Polizei hat längst Strategien entwickelt, dieses Prinzip dort zu umgehen, wo man es für nötig erachtet).
(Meine eigene Erfahrung bestätigt das: Trotzdem die Polizei durch Bespitzelung und Grossen Lausch- und Spähangriff Hinweise auf ein schweres Ärzte-Verbrechen erhalten hat, wird nicht gegen den oder die Täter ermittelt. Die Polizei hält vielmehr den Lausch- und Spähangriff geheim, womöglich in dem sie ihn als Amtshilfe vom Inlandsgeheimdienst durchführen lässt, und kann darum auch nicht wegen Bruchs des Legalitätsprinzips - also der Strafvereitelung im Amt - belangt werden, trotzdem sie direkt informiert und eingebunden ist. Das ist Bruch des Rechtstaatsprinzips durch real existierende Polizei-"Arbeit". Anmerkung durch den Blogger).

Neben der hohen Einstellungsquote oder der niedrigen Sanktionsquote wird die sog.„Aufklärungsquote“ am häufigsten politisch, aber auch innerhalb der Polizei diskutiert. Sie wird von der Politik gleichgesetzt mit „guter“ Polizeiarbeit und „hoher“ Abschreckungswirkung, die wiederum für eine rückläufige Kriminalität verantwortlich sein soll. Dabei sind hier mindestens drei Fehlschlüsse aneinander gereiht, die leider auch allzu oft von der Polizei gepflegt werden, obwohl man gerade dort um die Fehlerquellen und Manipulationsmöglichkeiten weiß. Dabei soll von der allgemeinen „Qualität“ der polizeilichen Kriminalstatistik an dieser Stelle nicht gesprochen werden.

Ein Fehlschluss: Es besteht ein Zusammenhang zwischen Aufklärungsquote und Kriminalitätsrate. Nach allen bislang vorliegenden empirischen Studien wissen wir, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass Kriminalitätsraten von anderen Faktoren beeinflusst werden.

Es gibt noch weitere Fehlschlüsse, die wir uns und anderen zu wenig bewußt machen: So wird immer wieder behauptet, die Anzahl und die Art der Polizeibeamten habe Einfluß auf die Aufklärungsquote und die Kriminalitätsrate. Dabei kann nach den bislang vorliegenden empirischen Studien weder erhöhter Personalbestand bei der Polizei noch verbesserte sachliche Ausstattung unmittelbar und signifikant zu einer höheren Aufklärungsquote oder gar zu einer Reduktion von polizeilich registrierter Kriminalität führen – im Gegenteil: Mehrere Studien konnten einen linearen Zusammenhang zwischen mehr Polizei und mehr Kriminalität feststellen. Die Polizei ist, wie der BKA-Abteilungspräsident Kube (1990) feststellte, objektiv nicht in der Lage "einen nennenswerten Anteil der Gesamtkriminalität zu verhüten“.

(Das würde erklären, warum Polizei sich an jenen Leuten "festbeisst" die sie einmal in den Blick genommen hat. Wenn Polizei schon jemanden "am Wickel" hat, lässt sich immer irgend eine Normabweichung finden - und sei sie noch so unbedeutend oder an den Haaren herbei gezogen. Die Polizei ahndet lieber einen harmlosen Rotlichtverstoss eines harmlosen Bürger über den sie gut informiert ist, als gegen einen ihr bislang unbekannten Verdächtigten der Oberschicht ganz neu zu ermitteln. Anmerkung vom Blogger)

Um dies noch etwas anschaulicher zu machen: Die Zahl der von einem Kripo-Beamten in Deutschland pro Jahr erledigten Fälle schwankte in den 90er Jahren zwischen 40 (in Baden-Württemberg) und rund 150 (NRW) bzw. 200 (Hamburg) (Zahlen von 1993, zusammen gestellt von der Gewerkschaft der Polizei).

Man kann davon ausgehen, dass jeder Kripo-Beamte im Schnitt zwischen 2 und 10 Fälle pro Jahr durch eigene Ermittlungstätigkeiten aufklärt – der Rest wird quasi zugeliefert (diese von mir für Deutschland berechneten Zahlen decken sich mit Werten, die für England berechnet wurden).

Für die USA geht man nach einer aufwendigen Studie für das FBI davon aus, dass nur 3% aller aufgeklärten Taten auf besondere Aufklärungsbemühungen der Polizei zurückzuführen sind. Ebenso hat man herausgefunden, dass nur rund 7% der Arbeitszeit eines Kripo-Beamten tatsächliche Ermittlungsarbeit ist.

Jeder Polizeibeamte weiss, dass Ermittlungen dann, wenn keinerlei Hinweis auf einen Taverdächtigen vorliegt, schwierig bis hoffnungslos sind und dass andererseits dann, wenn ein Tatverdächtiger gleich mitgeliefert wird (was in sehr vielen, wenn nicht den meisten aufgeklärten Fällen gegeben ist), die Ermittlungen nicht nur von Anfang an sehr zielgerichtet erfolgen können, sondern auch viel erfolgversprechender sind.

Der kanadische Polizeiforscher Richard Ericson spricht von der Polizei als „Knowledge-Broker“, also Informations- oder Wissens-Händler; damit ist gemeint, dass die schutz- wie kriminalpolizeiliche Tätigkeit zu einem grossen Teil – Ericson geht von mindestens 70% aus – darin besteht, Informationen zu bekommen, zu verwalten, auszuwerten, weiterzugeben (oder auch nicht) – z.B. an Versicherungen, die Justiz, Anwälte....


Demnach ähnelt die Polizeitätigkeit jener von Journalisten und Nachrichten- bzw Geheimdiensten. Und wenn, wie Eingangs gesagt, vieles der Öffentlichkeit verschwiegen wird, was passiert (erinnert sei nur an die bekannte Absprache zwischen Polizei und Journalisten, Bahngleis-Selbstmorde der Öffentlichkeit zu verschweigen, um den wertherschen Nachahmungseffekt zu verhindern), dann ergibt sich das Bild einer Info-Elite aus Geheimdiensten, Polizei und Journalisten, die untereinander Informationen - grade auch private und intime - über den Rest der Bevölkerung beschaffen, auswerten, sortieren, sammeln, hin und her schieben und sich absprechen, welche Informationen wie und gegen wen instrumentalisiert, welche öffentlich gemacht werden und welche man besser verschweigt.
Wenn Journalisten die Polizei kritisieren, dann vielleicht weil nicht alle Polizisten und nicht alle Journalisten bei dem grossen Gewaltenteilungs- und Rechtstaats-Schwindel mitmachen, wie etwa der Polizist Wüppesahl und der Journalist Ness.