Freitag, April 02, 2010

"Teutonisches Frauenopfer"

"Die Diagnose "chronische Blinddarmentzündung", die zu einer Operation führt, existiert praktisch nur mehr in Deutschland und Österreich. Nirgendwo sonst in den entwickelten Industriestaaten werden so oft die Bäuche junger Menschen aufgeschnitten, um den kleinen Wurmfortsatz wegzuschneiden.

Die Appendektomie (chirurgische Entfernung des Blinddarms) stellt, zugespitzt formuliert, ein teutonisches Frauenopfer dar. Weltweit ist die Appendizitis, also die Blinddarmentzündung, eine typische Männerkrankheit. Männer erkranken daran doppelt so häufig wie Frauen. Die Appendektomie wird in Deutschland aber viel häufiger bei Frauen als bei Männern durchgeführt. Die Blinddarmoperation bei jungen Frauen wirkt wie ein Initiationsritual zur psychosozialen Bewältigung pubertärer Konflikte im Dreiecksverhältnis von Mutter, Vater und Tochter, das von männlich forschen Chirurgen vollzogen wird. Unter sterilen Kautelen wird aus dem Unterleib eines jungen Mädchens ein "jungfräulicher Wurm" geschnitten, wie der herausgenommene, aber nicht entzündete Blinddarm im Operationsjargon genannt wird.


Quelle: Ellis Huber/Kurt Langbein: Die Gesundheitsrevolution - Radikale Wege aus der Krise - was Patienten wissen müssen